Ortsgeschichte von Neu Sankt Jürgen

Ausschnitte aus dem Buch „Jürgen Christian Findorff’s Erbe“ von Karl Lilienthal und aus Berichten von Gottfried Köbe, zusammengestellt von Christoph Meyer.

Im Juli 1751

Während der Grenzfestsetzungen haben sich bei den Amtsleuten zahlreiche Anbaulustig mit dem Wunsch gemeldet, sich im langen Moore (Wörpedorf) oder am Abelhüttenberge (Neu Sankt Jürgen) ansiedeln und bauen zu dürfen. Die Amtsleute verwiesen diese Suplikanten darauf, ordentlich gefasste Anträge nach Hannover einzureichen. Vom Amt konnte nichts Bestimmtes unternommen werden. Man wartete auf genauere Instruktionen durch die Regierung. Inzwischen hielt man die Anwärter bei guter Hoffnung.

Karl Lilienthal schrieb: „Im Juli 1751ging endlich auf Veranlassung der Regierung seitens der Ämter die Bekanntmachung ins Land, daß Anbauern überall, vornehmlich aus den schon vorhandenen Moor- und den Geestranddörfern für den Zweck der Ansiedlung und Artbarmachung des „Langen Moores“ gesucht würden. Die zur gleichen Zeit erlassenen „Instruktionen wegen Behandlung und Ausführung der Moor-Kultur und Betriebsangelegenheiten“ gaben Richtung und Ziel für das zunächst Erforderliche und Ausführbare der Kulturarbeiten.

Darin hieß es:

1. Sobald ein Moordistrikt von Herrschafts wegen zum Anbau bestimmt wird, wird dessen Vermessung, Kartierung und Einteilung den Ämtern und Moorbetriebsbediensten aufgegeben, die Kostenberechnungen über Dämme, Gräben, Grüppen, Brücken und sonstige Vorrichtungen angefertigt und den Anwärtern durch das Los bestimmte Plätze, wohlbelegen, von geräumiger Größe, durchweg 50 Calenberger Morgen, angewiesen.

2. Die Kolonisten erhalten die Anbauplätze in völlig rohem Zustande. Ihnen werden die Damm- und Grabenarbeiten unter Aufsicht der anzustellenden Grabenmeister und der Leitung des Amtes übertragen.

3. Zu Anbauern sollen nur rechtliche, arbeitsame und hinreichend vermögende Leute, welche wenigstens ein Haus mit eigenem Vermögen aufzurichten imstande sind, zugelassen werden. Ihre Auswahl soll sich aber keineswegs auf die Kompetenten und Anbaulustigen im Amte beschränken.

4. Die Anbauern unterwerfen sich dem geltenden Meyerrecht und allen Verpflichtungen anderer Meyer, dem jahrlichen Grundzinse und den Weinkaufsbestimmungen.

5. Gemeindelasten sind ohne Vergütung zu übernehmen.

6. Dorfkanäle gehören der Herrschaft. Ihr Mitbenutzungsrecht haben alle an ihnen interessierten Dörfer.

7. Brücken, Gräben usw., sobald sie überwiesen sind, müssen auf Kosten der Anbauern in untadelhaftem, schaufreiern Stande dergestalt erhalten werden, daß die Dämme, Graben und Grenzgrüppen von jedem Kolonisten nach dem Anschlüsse seines Moorteils, die Schiffgräben, Schleusen und Siele darin, sowie die gemeinen Brücken von ihnen gemeinschaftlich unterhalten werden. So fanden sich dann nach einer durch die Ämter und Kanzeln der umliegenden Pfarreien erfolgten Bekanntmachung der Regierung etwa 100 Anbauwärter und Bittsteller am 2., 3. und 4. August im Hause des Magnus Gerken zu Hüttenbusch ein, um aus den Händen der Herrschaft das verheißene Kolonat in Empfang zu nehmen. Von allen Himmelsrichtungen kamen sie, Häuslinge, Knechte, Tagelöhner, Bauernsöhne aus Vieh, Überhamm, Hüttenbusch, vom Teufelsmoor, aus Hepstedt. Rhade, ja von Badenstedt und Steinfeld. Das Vaterhaus hatte sie ausgesetzt, die Heimatscholle war zu eng geworden. Sollte man sein ganzes Leben in fremden Dienst, Kraft und Freiheit in Spann- und Handdienst verwerken, nie, wenn Glück, Schicksal, Erbfolge und Höferecht nicht hold, freier Mensch auf eigenem Grund sein? Manch einer von denen, die lange gefront und gelitten hatten, war mit Erbteil und Bündel in die Fremde gezogen. Fremde Erde hatte viel wertvolles deutsches Blut aufgesogen. Wer war draußen Sieger geblieben? Die ersten Auswanderer begannen eben aus den alten Geestsiedelungen Verwandte und Freunde nach der neuen amerikanischen Heimat herüberzuziehen, da ging der Ruf der Landesherrschaft nach brauchbaren Kolonisten durchs Land. Waren die Versprechungen der Ämter glaubhaft, so war es besser, daheim zu bleiben. Die Heimat gab Land, weites, freilich mooriges Land, voll Sumpf und Birkenwildnis, voll Heide und Borstengras. Konnte man sich in ihm eine irdische Bleibe, wenn auch durch Sorgen und Nöte, den Kindern und Enkeln eine freie Heimstätte bauen, so war seine Armut Spaten und Axt, Schweiß und Schwielen wert.

In der oben erwähnten Versammlung gab der präsidierende Amtmann Bachmeister zu wissen, daß die Regierung den Abelhüttenberg an der Hepstedter Schede und die Gegend am Wörpestrom, weil hoch und günstig gelegen, fürs erste für den Zubruch am vorteilhaftesten gefunden habe. Jedem der Anbauern würde etwa 50 Morgen zugebilligt werden, wovon etwa 9 Morgen zu Saatland, zwei Morgen zur Hofstelle, zum Garten und zum Abwässerungskanal, 15 Morgen zum Torfstich, 24 Morgen zu Wiesenland bestimmt seien. Zur Bedüngung dieses Landes wären etwa 7 Kuhbeester, 30 Schafe und 2 Pferde vonnöten, die insgesamt 126 Fuder Mist, die zur Kultur des Bodens erforderlich seien, einbrächten. Den Abelhüttenern habe die Regierung weitläufige Gebiete an der Schmoe zu gemeinsamem Weideland ausgegeben. Wörpedorf, die neue Kolonie am Wörpestrom, erhielte zu gleichem Zweck geräumige Distrikte vom Eichberg herab bis etwa in die Gemarkung Heidberg, parallel den Tarmstedter Wiesen. Zwischen diesen Weiden und den dort ansässigen alten Weinkaufsmooren werde künftig ein Kanal gezogen. Den Zins und die Abgaben für die neu einzurichtenden Stellen habe die Herrschaft im Interesse der Anbauern so gering wie möglich festgesetzt. Ihre Höhe solle nirgendwo dem künftigen Anbau hinderlich sein.

Am 5. August 1751 fanden sich 25 Anbauwärter auf Veranlassung Bacmeisters am Abelhüttenberg ein, die hier siedeln wollten. Die Bedingungen des Anbaus wurden verlesen. Bis Jacobi 1752 müßte jeder Anbauer das Bauholz für den Anbau haben. Auf eigene Kosten müßte ein jeder vor und hinter seinem Platz Grüppen und Kanal ziehen. Die noch nicht besiedelten Plätze übernähme die Herrschaft. Schleusen und Schütte würden mit Hilfe der Siedler angelegt. An Hand von gezeichneten Rissen zeigten der Amtmann von Ottersberg und der Geometer Ohmen aus Stotel den Anbauern die von diesem vermessenen Hofstellen an Ort und Stelle. Man schritt die mit Stangen markierte Dorflinie ab, die in Gestalt eines stumpfen Winkels, dessen Scheitelpunkt gegenüber dem Richtungsknick der Schmoe lag und sich geradlinig nach 2 Himmelsrichtungen erstreckte. Im Försterhause zu Hepstedt wurden am selben Nachmittag durch das Los 25 Anbaustellen verteilt.

Diese Abgaben beliefen sich jährlich auf:

1. für die neue Anbauung … 24 Groschen

2. für Weidegeld an Schmoe und Wörpe … 42 Groschen

3. für Saatland und Torfstich … 2 Taler 48 Groschen

4. für Dienstgeld … 1 Taler 12 Groschen

5. statt Kontribution (Einquartierungslast, die zu tragen sonst zu den Meyerpflichten gehört) eine in Geld verwandelte Abgabe … 1 Taler 18 Groschen

6. dazu bei Antritt der Stelle und beim Wechseln des Wirtes einen Weinkauf von … 1 Taler

in Summa: 8 Reichstaler

Zu diesen Lasten käme noch der Korn- und Schmahlzehnte in Höhe von 1 Reichstaler.

Auf die gestellte Frage, ob die Anbauwilligen diesen Zins entrichten wollten, bemächtigte sich der Versammlung große Ratlosigkeit. Die Schwere der Abgaben beschwerte vielen das Herz. Man besprach sich lebhaft oder zurückhaltend. Ein Wortführer trat vor. Er führte aus, daß man sehr geneigt wäre, den Anbau mit allen Kräften zu beginnen und ernsthaft zu fördern, doch scheine die Zinsung untragbar. Insbesondere sei vielen der Korn- und Schmahlzehnte eine ungerechtfertigte Härte, um so mehr, da man nicht wisse, wieviel Zeit hingehe, ehe der wilde Grund einiges für den eigenen Bedarf, geschweige für die Herrschaft abwerfe. – Darauf Bacmeister: Er habe zu sagen vergessen, daß den Anbauern von der Regierung 9 Freijahre zugebilligt würden, während welchen sie von allen Lasten in Gelde und Naturalien befreit seien. – Der Wortführer: Die Vergünstigung sei ihnen bekannt.
Sie sei eine selbstverständliche Voraussetzung für den Anbau und eine alle Übung. Trotz allem seien die Bedingungen zu hart. Sie bäten darum, statt des Korn- und Schmahlzehnten einen in Geld umgewandelten Zins entrichten zu dürfen. – Bacmeister: Das Amt könne nichts versprechen, es wolle aber im Sinne der Kolonisten bei der Kammer vorstellig werden und die erbetene Erleichterung befürworten. Ob die Bewilligung von dort erfolge, sei zweifelhaft. Der Korn- und Schmahlzehnte sei eine der wichtigsten Revenuen (Einkünfte) der Krone. Eine weitere Erleichterung bedeute die gewährte Kontributionsfreiheit.

Der nasse Spätsommer und Herbst 1751 verhinderte, daß die Platzanweisungen in den beiden werdenden Kolonien im genannten Jahre erfolgten. Inzwischen waren die Bauleute in eifriger Arbeit ihrer Wohnhäuser begriffen. Etliche hatten die Fertigstellung des Hausgerüstes Zimmerleuten auf der Geest übertragen. Die Werkstätten und Zimmerplätze klangen vom Schlag der Äxte. In den königlichen Forsten zu Osterholz und Lilienthal sank Eiche um Eiche. Fuhrwerke, schweißtriefende Pferde ächzten durch die moorige Landschaft, um Holz und Sand, Findlinge und Lehm, Ziegel und sonstiges Baumaterial zu den Anbaustellen zu fördern. Zwischen Birken und Heidplaggen wuchsen Hütten auf, mit Moorsodenwänden, Busch- und Heiddächern, Unterkünfte für Zimmerleute und ungelerntes Arbeitsvolk; denn gar manches Haus wurde vor den Anbaustellen an Ort und Stelle im Balkenwerk gefertigt und ineinandergefügt …

Auf der Geest erhandelte er (der Anbauer) Kuhbeest und Kalb. Sein Knecht- oder Häuslingsverhältnis war gekündigt. Er war vogelfrei. Was blieb anders übrig? Weib und Kind, Schwein und Rindvieh siedelten in die schnell vorgerichteten Torf hüllen über. Das Viehzeug trieb sich weidend an den grünen Triften herum. Im Winter wohnte man in beklemmender Nachbarschaft mit ihm. Hatte man vieles zu entbehren, sich an manches Ungewohnte und Widrige zu gewöhnen, das künftige Jahr brachte das neue, langersehnte Heim für Menschen und Vieh. – Ein strenger Winter ging ins Land. Neue Sorgen kamen, neue Kämpfe. Während draußen Wörpe und Hamme ins Land wogten, der blanke Hans in Eis und Schnee erstarrte, duckte das Anbauervolk sich um das flackernde Kienfeuer der Hüllen zusammen, kroch unter Stroh und Decken, um vor der grimmigen Kälte und dem eisigen Nordost geschützt zu sein, der ungehindert über das ebene Land und die zerzauste Kate brauste.“

Als der Frühling 1752 kam, gab es für die Neu St. Jürgener am Abelhüllenberge einen herben Rückschlag. Karl Lilienlhal schrieb weiter: „Am 7. März 1752, dem für Neu St. Jürgen angesetzten Ausweisungstermin, erschienen daselbst die bekannten Martin Finken und Hinrich Schmonsees vom Teufelsmoor, behaupteten, der für die neue Dorfanlage bestimmte Baugrund gehöre ihnen und erhoben auf Grund eines von der Justizkanzlei in Stade ausgefertigten und vorgezeigten Inhibitoriums (Untersagungsbefehl) Einspruch gegen die Fortsetzung des Anbaus (s. Heimatbuch von 1977 -„Prozeß mit Teufelsmoor)…

Die rührigsten und geschicktesten Kolonisten konnten im Herbst 1752 Richtfest feiern … Bei einer Inspektionsreise am 27. Oktober 1753 unier Vorsitz des Geheimen Kammerrats v. Alvensleben wurde unter anderem notiert: Fahrt übers Hepstedler Moor und die Hepsledter Wiesen. Selbige sind mit Wasser und Entenpfützen überstaut. Überall wuchert schädlicher Busch.

1. Die Büsche sind abzubrennen und das überflüssige Wasser ist zur Schmoe abzuleiten.

2. Der Hepstedt und Neu Sankt Jürgen verbindende Moorweg ist zur Benutzung den Neu St. Jürgenern freizugeben. Er wird künftig zu gleichen Teilen von den Hüttenbuschern, Neu Sankt Jürgenern und Hepstedtern in Ordnung gehalten. Falls von den letzteren Widerstand dagegen geleistel wird, soll mit scharfer Exekutive eingegriffen werden.

3. Von 45 Wohnungen Neu St. Jürgens sind etwa 20 fertig. Der Abzugskanal ist nahezu vollendet. Der große Kanal befindet sich noch im Bau.

Über die Ergebnisse der ersten Siedlungsjahre berichteten die Amtsleute Meyer und Meiners unter anderem am 4. April 1755: „Die schon Ansässigen sind beschäftigt, das ihnen eingetane Kulturland in gehörige Kultur zu bringen, und einige derselben sind in Betracht der gehabten nassen Jahre, und da sie nicht zum Brennen ins Moor gelangen können, nach dem obgegebenen Verzeichnis schon weit damit gekommen. Im ganzen sind 89 Morgen kultiviert. Daß das Moorland zum Kornbau nicht undienlich, erhellet daraus, daß ein Anbauer am Abelhüttenberge, Joh. Thioden, von seinen zur Cultur gebrachten wenigen Moorländereien im abgewichenen Sommer bereits 3 Malter oder 36 Himbten Korn, Roggen und Gerste und Buchweizen geerntet hat. Überhaupt ist das Moor beider Orte (Anm.: Wörpedorf und Neu St. Jürgen) von guter Bonität. Im verwichenen Sommer haben die Abelhüttener 225 Hunt Torf zum Verkauf gestochen; das macht, bei 3 Taler auf einen Hunt, 675 Taler, die sie teils schon gelöset, teils an die Bremer Eichenfahrer schon verkauft haben.

Die Umstände der Anbauern sind auch ziemlich, was sich an ihrem Viehstapel zeigt. Neu St. Jürgen hat 7 Pferde. 80 Stück Rindvieh und 100 Schafe. Wir haben erfahren, daß einige Anbauern am Abelhüttenberge. und zwar die im obigen Verzeichnis angegebenen Stellen Nr. 8,12, 25.32,33,34,35,37,38,41 die ihnen eingetanen Vorweiden an Eingesessene auf dem Teufelsmoor zum Torfstich verkauft haben. Dadurch entziehen sich die Anbauern des Vorteils, den andere haben, nämlich der Nutznießung des unter dem Abstich des Moores liegenden guten Weidelandes, den sie nach ihren Einrichtungen höchst nötig haben. Wir haben diesen Vorfall durch den ad interim zu Hüttenbusch bestellten Moorvogt Magnus Gerken dem Amt Ottersberg denunzieret, der dagegen die nötige Vorkehrung treffen wird.

Moorvogt Magnus Gerken ist im Jahre 1755 verstorben. Sein Nachfolger wurde der berühmte Moorkommissar Jürgen Christian Findorff.

Vom früheren Lehrer an der Schule II, Gottfried Köbe, stammen die nachstehenden Aufzeichnungen:

„Längst des Moordammes stellten die Einwohner einen breiten, schiffbaren Graben (Schiffgraben) her und verbanden diesen mit der Hamme. Dieser Schiffgraben wurde durch Zuleitungsgräben (Wasserlösen) der benachbarten Geest reichlich mit Wasser versorgt. Da das Wasser ein bedeutendes Gefälle hatte, so verrichtete man, um überall und dauernd eine gleichmäßige Tiefe zu haben, an mehreren Stellen ein sogenanntes „Schütt“ (Schleuse). Wenn die schwarzen Torfschiffe kamen, so zog der alte Claus Schnackenberg, der lange Jahre „Schüttherr“ war, die Schleusen hoch. Wehe dem, der bei Claus nicht gut angeschrieben war! Solcher saß mit seinem Schiff oft auf Sand und mußte mit dem Rohr bös arbeiten, kam nur mühsam und langsam im seichten Wasser vorwärts: denn der mächtige Claus, wie er genannt wurde, hatte ja die Regulierung des Wasserstandes im Neu St. Jürgener Schiffgraben allein in seiner Hand.

Wie schon mehrfach hervorgehoben, beschäftigten sich die ersten Einwohner Neu St. Jürgens nur mit „Torfmachen“. Sobald der Frühling ins Land zog, ging es bis Anfang Juli Tag für Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zur Torfkuhle. Am Sonntag waren die Torfgräber dann so müde, daß sie einen großen Teil des Tages zum Schlafen verwandten. Bald guckten dicht an dicht große „Torfhöp“, die bei herrlichem Sonnenwetter schnell durchtrockneten, schwarz und braun schimmernd, ins Dorf. Recht mühevoll war die dann einsetzende Verschiffung des trockenen Torfes. Die Frauen hatten die schwere Aufgabe, den Torf auf Schiebkarren zur Einladestelle zu befördern, während die Männer bei Tag und Nacht dem Fahren oblagen.
Die Torfschiffe waren anfangs wegen der vielen Biegungen und der Seichtheit der Hamme so klein, daß sie nur einen viertel „Hunt“ (30 hl) Torf faßten. Erst nachdem die Hamme im Laufe der Zeit bedeutend begradigt und vertieft war. baute man Schiffe, die einen halben bis einen ganzen „Hunt“ Torf aufnahmen und von einem Mann gefahren wurden. Vorne im Schiff befand sich das zum Schlafen dienende Verdeck, worin auch die nötigen Lebensmittel und Kleidungsstücke aufbewahrt wurden: hinten war ein freier Platz für den Schiffer. Auf diesem Schifferplatz standen die Moorjungen schon oft mit 13 und 14 Jahren. Zur Fortbewegung des Schiffes benutzte man ein zweischneidiges Schiebruder.
Froh war jeder Torfschiffer, wenn er nach langen sauren Wochen wieder bei seiner Familie sein konnte! Dickgebackene Buchweizenpfannkuchen. Speck, Kartoffeln und Brot halfen alle Strapazen schnell überwinden. – Heute bildet die infolge des vergrößerten Viehbestandes reichlich gewonnene Milch ein wesentliches Nahrungsmittel. Wenn auch der größte Teil zur Kälbermast verbraucht wird, so bleibt täglich doch noch eine gute Milchmahlzeit übrig.

Sobald die Boten des Herbstes nahten, war die Arbeit weniger schwer. Gräben wurden geöffnet und was es sonst noch an Kleinigkeiten draußen zu ordnen gab. Zog dann der Winter ins Land, so begann für unsere Moorbauern die schönste Zeit, die Zeit, wo auch Geselligkeit und Frohsinn gepflegt wurden. Tagsüber waren allerdings immer noch genügend Arbeiten vorhanden, um die Hände nicht müßig in den Schoß legen zu müssen.
Bei starkem Frostwetter wurde der Buchweizen ausgeschlagen. Auch trugen die Männer Sorge, daß alle Gerätschaften, die den Sommer über gebraucht und beschädigt waren, in Ordnung kamen. Die Frauen saßen tagelang auf dem „Stell“ – Webstuhl – . Auch mußten die Näharbeiten fürs ganze Jahr erledigt werden. Die Kleidung der Moorleute war ihrer schweren Arbeit entsprechend einfach und haltbar. Es wurden nur selbstgewebte Stoffe getragen und mit Ausnahme des „Kirchzeuges“, das bei der Verheiratung angeschafft wurde und fürs ganze Leben aushalten mußte. Abends, beim trüben Licht eines „Tran- oder Qualmkrüsels“. saß man in „Koppeln“1 (Haufen) bald in diesem, bald in jenem Hause. Die Frauen hatten ihre Spinnräder mit, die Männer ihr Strickzeug. Letztere mußten für den ganzen Haushalt die Strümpfe stricken. Doch trotz Rädergesurr und Stricknadelgeklapper wußte man die Hauptsache, einen kräftigen „Klönschnack“, in Gang zu halten. Das „Jungvolk“ ging für sich. Auch hier fehlten die Spinnräder nicht, doch statt des Strickstrumpfes wurde das Kartenspiel mitgebracht, und kräftig schlugen die braunen Fäuste bei einem „Hahnendreher“ auf den Tisch. Das emsige Surren der Spinnräder wurde dann und wann übertönt von einer im Flüsterton geführten Unterhaltung der jungen Mädchen. Mancher verständnisvoller Blick flog herüber von hüben und drüben, und war dann das von der Mutter mitgegebene „Stück“ fertig gesponnen, so fand nicht selten solch ein Abend mit einem „Tanzkränzchen auf Holzschuhen“ seinen Abschluß. Diese Abende boten die einzige Gelegenheit, die jungen Leute zusammenzuführen, und hier wurde mancher Grund für einen Lebensbund gelegt.“